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Edgar Kupfer-Koberwitz


Die vergessene Insel, 1944

Hinter mir stand ein grosser Treiber. Er richtete braune, treue Hundeaugen auf mich und hinunterdeutend sagte er:
“Forio, Herr, Kein Ort der Insel sieht bei Nacht so schön aus wie Forio.
Wie recht er hatte, sah ich erst, als ich auf die anderen Ortschaften blickte, deren Lichter wohl schön und wie Sterne heraufblinkten, die aber nicht diese seltsam mystischen Formen ergaben wie gerade die Lampen von Forio.
Ich kletterte auf einen Felsen und sah entzückt über all das Flimmern unter mir und weit hinaus auf jenes Glänzen von Procida und Neapel. Feurig lohte der Vesuv, und silbern-ätherisch, wie eine Geisterlaterne, schwebete der Vollmond über der schweigenden Landschaft. In Einsemkeit versunken sass ich da, an mein Ohr tönte – das Rauschen des Meeres; von so fern  her kam es und von so tief herauf auf diese Bergesspitze (Monte Epomeo).

Ein grauer Schimmer lag über dem Horizont, doch er wurde klarer, heller, und schon war er wie glänzendes Silber. Doch dann erlosch das Silber, wurde zu sanften, hauchfeinen, unendlich zarten, Sekunde um Sekunde sich wandelnden Farben, wie sie kein Maler je auf einer Palette zu mischen vermag: Rosa, Grön, Gelb, Kupfer und Gold verwoben sich, verwandelten die Wolken in leuchtende Gebilde und das Meer in eine Fläche zauberischer Tönungen. Hinter den Wolken erschienen Strahlenbüschel aus Gold. Unter uns aber spielte sich ein unvergessliches Schauspiel ab. Über dem Meere löste sich der Nebel. Aus der silbern-rosigen Flur stiegen langsam Inseln auf, wie eben geborene Schöpfungen. Taufrisch und neu lagen sie da, seltsam klar und doch übergossen von unendlich sanftem und farbigem Hauche. Es war uns, als seien wir bei der Entstehung der Welt zugegen, als das Feste sich aus dem Wassern hob.
Mit unendlicher Pracht und Majestät schwebte die Sonne hinter den Wolken empor, eine rotgoldene Scheibe von starkem Licht, das heller und leuchtender wurde, die Erde mit Klarheit überflutete und ihr schönste Geschenk gab: den Tag.

Die Ndrezzata begann. Die Instrumente spielten eine langsame, immer wiederkehrende Melodie. Die Manner hatten einen Kreis gebildet und begannen nun, sich zu bewegen, indem einer um den andern schritt. Dabei schlugen sie abwechselnd die langen und die kurzen Hölzer aneinander. Ein Pfiff – die Marschseite anderte sich, die Melodie wurde schneller, die Männer wirbelten leichtfüssig umeinander her, immer das Holz des nächsten schlagend, dem sie begegneten. So drehte sich der Kreis, so drehte sich einer um den andern. Schneller und schneller kamen die Töne der Flöte, heftiger und heftiger dröhnte das Tamburin. Mehr und mehr Formen entstanden im Tanzschritt. Die Tänzer wirbelten Staub auf, sangen die Melodie mit. Ihre braunen, kühnen Gesichter waren schon nicht mehr zu erkennen. Das Tempo steigerte sich rasend. Aus Gesang und Musik hervor klangen rhythmisch die schnellen Schläge der aufeinanderprallenden  Hölzer. Die Melodie hatte in ihrer Negermusik erinnerte, bei der zuletzt der Rhythmus die Tanzenden so beherrscht, dass sie nicht mehr anders können, als nur tanzen, tanzen, bis es wire Raserei wird.

Auf hohem Felsenriff stand eine kleine Fischerkapelle; weiss, halb europäisch, halb orientalisch, lag sie da wie ein endgültiger Abschluss. Stufen führten zu ihr hinan, um sie her aber wehte etwas wie Einsamkeit. Tief unten blautte das Meer. Ich weiss nicht, warum: Hunderte von Kirchen habe ich gesehen, und wenn ich mich an  eikne erinnern will, so muss ich mein Gedächtnis zwingen, bis sie klar vor mir steht. Dieses Kirchlein aber, wie es hier in der Landschaft steht, ist mir immer gegenwärtig. Es geht mir da, wie es einem mikt besonderen Menschen gescheht: sie sind – und das genügt.
Diese Kapelle kann ich kaum beschreiben. Sie schien gar nichts Besonderes zu sein, und doch war sie es, und wie! In ihre Stufen waren alte Majolikaflikesen eingelassen, seltsam schön und rührend in ihren Motiven. Sie mochten etwas aus der Zeit um 1700 stammen. Damals, so scheint es, brannte man noch Kachelkn auf Ischia.
Innen wurde ein Kruzikfix bewahrt, ein altes Holzkreuz mit einem Christus. Es ist auf dem Meer gefunden worden, und man schreibt ihm Wundertätigkeit zu. Die Züge des Heilands liessen eine frühe Zeit vermuten, das 13. oder 14. Jahrhundert viellecht. Viele Voitivbilder und Schiffsmodelle hängen in dieser Kapelle, lauter Stiftungen zum Dank für Errettung aus Seenot. Die Kapelle seilbst ist alt. Früher war ein winziges Kloster dabei. Auch das alles mochte der Zeit um 1300 angehören.