Jean Paul
„... Die Erde schlief... mit zwei Armen umfasste sie von Neapel aus das schöne Meer, auf ihrem Rechten, auf dem Posilipo, trug sie blühende Weinberge weit in die Wellen und auf dem Linken hielt sie Städte und umspannte seine Wogen und seine Schiffe, und zog sie an ihre Brust heran. Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Capri am Horizont im Wasser und bewachte die Pforte des Golfs. Hinter der Stadt rauchte im Aether der Vulkan und zuweilen spielten Funken zwischen den Sternen.
Jetzt sank der Mond hinter die Ulmen des Posilip hinab, die Stadt verfinsterte sich, das Getöse der Nacht verklang, Fischer stiegen aus, löschten ihre Fackeln und legten sich ans Ufer, die Erde schien zu träumen, das Meer aufzuwachen. Ein Wind von der Sorrentinischen Küste trieb die stillen Wellen auf - heller schimmerte Sorrentos Sichel vom Monde bestrahlt und vom Morgen zugleich wie silberne Fluren - Vesuv's Rauchsäule wurde abgeweht, und vom Feuerberge zog sich eine lange reine Morgenröthe über die Küste hinauf, wie über eine fremde Welt... wir stiegen ein, als die Morgenröthe die Gebirge entzündete, und getrieben von Morgenlüftchen flog das Schiffchen ins Meer hinaus. Ehe wir noch um das Vorgebirge des Posilip herumschifften, warf der Krater des Vesuv den glühenden Sohn, die Sonne, langsam in den Himmel, und Meer und Erde entbrannten. Neapels halber Erdgürtel mit morgenrothen Palästen, sein Marktplatz von flatternden Schiffen, das Gewimmel seiner Landhäuser an den Bergen und am Ufer hinauf, und sein grünender Thron von St. Elmo standen stolz zwischen zwei Bergen vor dem Meere.
Da wir um den Posilipo kamen, stand Ischias Epomeo wie ein Riese des Meeres in der Ferne, mit einem Wald umgürtet und mit kahlem, weissem Haupt. Allmälig erschienen auf der unermesslichen Ebene die Inseln nacheinander wie zerstreute Dörfer, und wild drangen und wateten die Vorgebirge in das Meer, und nun that sich gewaltiger und lebendiger als das vertrocknete, vereinzelte starre Land, das Wasserreich auf...
Als wir vor dem kleinen Nisida vorbeikamen, wo einst Brutus und Cato nach Cäsars Tod Schutz wehr suchten, - als wir vor dem zauberischen Baja und dem Zauberschlosse, wo einst drei Römer die Theilung der Welt beschlossen und vor dem ganzen Vorgebirge vorübergingen, wo die Landhäuser der grossen Römer standen, und als wir nach dem Berge von Cuma hinabsahen, hinter welchem Scipio Africanus in seinem Liternum lebte und starb: so ergriff mich das hohe Leben der alten Grossen gewaltig...
Jugend und Ruinen, einstürzende Vergangenheit und ewige Lebensfülle bedeckten das misenische Gestade und die ganze unabsehliche Küste, - an die zerbrochenen Aschenkrüge todter Götter, an die zerstückten Tempel Merkurs, Dianens, spielte die fröhliche leichte Welle und die ewige Sonne - alte einsame Brückenpfeiler im Meer, einsame Tempelsäulen und Bogen sprachen im üppigen Lebensglanze das ernste Wort - die alten heiligen Namen der elysäischen Felder, des Avernus, des todten Meeres wohnten noch auf der Küste - Felsen- und Tempeltrümmer lagen untereinander auf der bunten Lava - Alles blühte und lebte, das Mädchen und die Schiffer sanken - die Berge und die Inseln standen gross im jungen feurigen Tage - Delphine zogen spielend neben uns - singende Lerchen wirbelten sich im Aether über ihre engen Inseln hinaus - und aus allen Enden des Horizonts kamen Schiffe berauf und flogen pfeilschnell dahin. Es war die göttliche Ueberfülle und Vermischung der Welt vor mir, brausende Saiten des Lebens waren über den Saitensteg des Vesuv und Posilip herüber bis an den Epomeo gespannt ...