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Elisa von der Recke

Tagebuch einer Reise durch einen Theil Deutschlands und durch Italien, in den Jahren 1804 bis 1806

- Unter den Badezimmern sind einige so eingerichtet, dass man einzelne kranke Glieder in angemessene Öffnungen bringen und von dem aufsteigenden Dampfe durchdringen lassen kann. Alle Zimmer sind geräumig, reinlich und hell. Schon wenn man sich einem solchen Badegemach nahet, wehet sogleich eine warme, aber durchaus nicht beschwerliche, vielmehr wohlthätige Luft entgegen. Sie wird noch mehr gleichsam gewürzt durch den kräftigen Geruch des Myrtengesträuches, welches den Boden und die Stufen überdeckt. Die Vorrichtung ist ein Gemäuer, welches eine Vertiefung in der Erde von ovaler Form umgiebt. Man steigt durch eine Thür zwei Stufen hinab, lässt sich entkleiden, mit einem grossen Tuche bis an den Hals bedecken, und öffnet von den teils an der Seite der Vertiefung, teils im Boden angebrachten Dampfmündungen so viele, als man zu bedürfen glaubt, oder vom Arzte angewiesen ist. Mir genügte die Ausströmung von sechs solchen Öffnungen. In der ersten Minute fühlte ich mich von dem Dampfe so durchdrungen, dass die heftigste Ausdünstung sogleich erfolgte, wobei ich dennoch in der Haut ein Gefühl von Kühlung hatte. Ich fing mit zehn Minuten meine Badesitzungen an, und werde in der Folge bis zu zwölf steigen. Nach dem Bade muss man sich sehr sorgfältig bekleiden, und in einem Tragsessel zurücktragen lassen. Weil das Bad angreifend ist, werden nach jedem Badetag vier Ruhetage gehalten. Die Wirkung auf eingewurzelte rheumatische Übel ist ausserordentlich. Schon gestern nach dem zweiten Bade fühlte ich mich sehr erleichtert; und ein Freund aus meiner Gesellschaft, der von einem heftigen Podagra befallen wurde, war nach dem vierten Bade des kranken Fusses vollkommen geheilt. Mehr als fünf, höchstens sechs, dieser Stufe pflegt man überhaupt nicht zu nehmen. Alle Mitglieder der Familie des Besitzers der S. Lorenzo-Stufe sind gutmütige Menschen, dienstfertig, neugierig, etwas zudringlich und kindisch habsüchtig, welches zusammengenommen fast durchgängig den Charakter der hiesigen Einwohner darstellt.

  - "Man hat mir gesagt", fuhr sie fort, "Sie wären Malerin. Vor zweiunddreissig Jahren kam auch ein junges Frauenzimmer in dies Haus. Sie hat mein Bildnis gemacht, weil sie mich schön fand. Der Vater der Künstlerin ist auch Maler gewesen. Da hat er denn meinen Mann gemalt, der bald nachler gestorben ist".
  Ich schlug die Augen auf, und sah das gutgearbeitete Bildnis eines Mannes, signiert mit dem Namen Kaufmann. Der Name überraschte mich. Er mahnte mich an die unsterbliche Angelika, meine Landsmännin, deren Vater ja auch Maler gewesen. Und in der Tath, bald wurde ich überzeugt, dass er und sie es waren, die vor dreissig Jahren auf dieser Insel weilten. Der Gedanke nur, Angelika habe das gleiche Haus bewohnt, in welchem ich mich jetzt befand, machte mir den Aufenthalt noch viel angenehmer. Auch ich, sobald ich etwas hergestellt war, machte das Bildnis der guten Alten, die einst der berühmtesten Künstlerin des vorigen Jahrhunderts zum Modell gedient hatte.